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„Es war einmal"

Wie die Gemeinde „aus dem Dornröschenschlaf erweckt" werden sollte

Von Dieter Siebenborn

Insgesamt neun Mal gab es ihn, den Märchenzug in Bensberg. Er fand immer im Mai statt (Christi Himmelfahrt) - und es haben dabei jeweils rund 3 000 Schulkinder teilgenommen. Vor fast einem halben Jahrhundert, 1957, gab es das Ereignis zum letzten Mal.

(Foto- und Videogalerie unten auf dieser Seite)




Plakat von 1957


Schon 1935 hatte die Gemeinde Bensberg - Stadt wurde sie erst 1947 - gut 12000 Einwohner und einen Bürgermeister, Dr. Walter Kappes. Der kam aus Klüppelberg (3 km östlich von Wipperfürth) und war dem heimischen Brauchtum sehr zugetan. Bürgermeister Kappes befand, daß die Gemeinde „aus einem Dornröschenschlaf" erweckt werden müsse. Mit Hilfe des Verkehrsamtes im Rathaus sollten Veranstaltungen angeboten werden, die den Ort als Ausflugsziel bekanntmachten. Es war noch gar nicht so lange her (1913), daß die Kölner Verkehrsbetriebe ihre Straßenbahn über die Stadtgrenze hinaus bis nach Bensberg zur Haltestelle „Im Hoppenkamp" fahren ließen und mit dem Spruch warben: „Wegen der paar Groschen - mach nicht viel Gedöns - fahr mit Frau und Puten -sonntags in et Gröns." „Dat Gröns" (das Grüne) war nicht nur der Königsforst, das war auch Bensberg.


Bensberger Märchenzug 1957

70.000 Zuschauer waren in Bensberg


Die in Bensberg allenthalben ins Feld geführten Argumente für das Märchenfest waren also: „Die Erhaltung und Pflege des alten Brauchtums sowohl als auch wirtschaftliche Gründe."
Als Termin für das „Erste Bergische Maispiel-Fest in Bensberg" wurden die Tage rund um Christi Himmelfahrt (29. Mai bis 2. Juni 1935) festgelegt. Der Werbeslogan für das Unternehmen lautete: „Bensberg, das schloßgekrönte, begeistert Besucher." Die Presse überschlug sich: „Bei der Einzigartigkeit und der kulturellen Höhe des Bensberger Maifestes kann jedem Volksgenossen (so nannte man die Menschen damals) empfohlen werden, am Himmelfahrtstag als Reiseziel das im Maienschmuck prangende schloßgekrönte Bensberg zu wählen." (Westdeutscher Beobachter vom 29. Mai 1935). Eine zusätzliche Attraktion war auch die gleichzeitig stattfindende Bensberger Maikirmes mit ihrem auf dem Festplatz gebratenen Ochsen am Spieß.


Ein Schokoladen-Hexenhaus
Die damalige Berichterstattung vermerkt auch sorgfältig die nicht immer vorbildliche Beteiligung der „Außenorte". Der „Reichssender Köln" war allerdings dabei und übertrug die wichtigsten Ereignisse -und was die Dokumentation anging, so agierte am Ort selber der fachkundige Drogist Jean Mangold als Fotograf.

Höhepunkt des Maispiel-Festes war unbestritten der Märchenzug mit der anschließenden Plünderung des schokoladenbehängten Hexenhäuschens. Die Organisation dieses Unternehmens oblag dem Lehrer Heinrich Rückamp, der diese Aufgabe auch bei den Märchenzügen bis 1939 mit Eifer wahrnahm.

Eine von Rückamps Ideen war leider nicht erfolgreich. Er hatte den Bürgermeister veranlaßt, am 3. April 1936 die Kölner Schokoladenfabrik Stollwerck zu bitten, sie möge doch „Herrn Rückamp mit Ratschlägen dienen". Rückamp ging es natürlich weniger um gute Ratschläge als um Schokolade für das Hexenhäuschen. Doch die Kölner rochen den Braten und schrieben zurück: „Wir... sind gern bereit, Herrn Rückamp bei uns zu empfangen. Sollten aber seine Wünsche dahin gehen, daß wir uns in irgendeiner Form an Ihrem Maifest beteiligen sollen, so wollen wir Ihnen heute schon sagen, daß das unsererseits nicht in Betracht gezogen werden kann!" Damals war der Gedanke des „Sponsoring" für die Kölner Schokoladenfürsten wohl noch zu neu.

Auch wenn sehr viel ehrenamtliches Engagement dahinterstand, so ließen sich Kosten doch nicht vermeiden. So erfand man als Finanzierungsgrundlage ein Festabzeichen, das zur Teilnahme an allen Veranstaltungen berechtigte und 20 Pfennig kostete.


Das Lebkuchen-Schloß
Damit den Bensbergern das Geld etwas lockerer im Beutel saß, ordnete Bürgermeister Dr. Kappes am 24. Mai 1935 an: „Mit Rücksicht auf die wirtschaftliche Auswirkung wird die Gemeindeverwaltung die Gehaltszahlung für ihre Beamten und Angestellten für den Monat Juni 1935 bereits am 29. Mai vornehmen." Das war also genau einen Tag, bevor das erste Maispiel-Fest stattfinden sollte. Andere Behörden wurden gebeten, entsprechend zu verfahren. Und tatsächlich klappte alles. Nicht nur das Festabzeichen wurde verkauft, es wurde auch berichtet, daß „der Verkauf des Bensberger Spezialgebäcks - das Bensberger Schloß aus Lebkuchen zum Umhängen - ein Erfolg wurde". Auch für den schönen Rahmen im Publikum war vorgesorgt: Der Bergischen Heimatzeitung vom 29. Mai 1935 ist zu entnehmen, daß aus Anlaß des Maispiel-Fests in Bensberg die Friseurgeschäfte am Himmelfahrtstag von 8 bis 11 Uhr ausnahmsweise geöffnet waren.

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Hinweis: Links zu weiteren Bildern und Videos vom Märchenzug 1957 finden Sie am Ende dieser Seite.


Trotz aller Bemühungen blieben die Finanzen eine brennende Frage. Hierfür verantwortlich war das Verkehrsamt der Gemeinde Bensberg, besetzt mit Heinrich Eickel. Um an Geld zu kommen, trat man 1937 die Organisation der gleichzeitig mit dem Maispiel-Fest stattfindenden Maikirmes an die Gemeinschaft K. d. F. (das war die von den Nationalsozialisten erfundene Organisation „Kraft durch Freude") ab und feilschte mit ihr um die Gebühr für den Festplatz. Auf diesem Wege kamen 250 RM in die Gemeindekasse.

Auch wenn der Märchenzug vom Vorhof des Schlosses Bensberg ausging - in diesem war damals die Nationalpolitische Erziehungsanstalt (Napola) - und es gern gesehen wurde, dass ein Fanfarenzug von Zöglingen dieser Anstalt (sie hießen damals Jungmannen) mitging, so ist es doch abwegig, in dem Märchenzug eine nationalsozialistische Brauchtumsorgie zu vermuten.

Der Organisator des Märchenzuges, der Lehrer Heinrich Rückamp, hatte es sogar abgelehnt, NSDAP-Mitglied zu werden. Wer letzten Endes das Sagen hatte, zeigte sich beim letzten Märchenzug 1939. Wegen eines Kreisparteitages der Nazis mußte der Termin für das Fest verlegt werden. Der Kriegsausbruch setzte dann dem fröhlichen Treiben ein Ende.

1951 war es wieder soweit: Die Erinnerung an die fünf Züge vor dem Krieg hatten Begriffe wie „Fremdenverkehr" und „Wirtschaftsankurbelung" wachgerufen. Der Heimatverein unter Vorsitz des damaligen Bürgermeisters Jean Werheit wollte die Trägerschaft übernehmen, die Stadt Bensberg wollte einen Zuschuß geben. Ein ganz wesentlicher Punkt fand sich in der Schlagzeile der Ortspresse am 16. März 1951 so wieder: „In einer Versammlung der Gastwirte am Montagnachmittag im Gasthaus Kutting unter dem Vorsitz von Willi Mangold wurde die aktive Mitarbeit des Gaststättengewerbes bei der Ausgestaltung des diesjährigen Maifestes grundsätzlich einstimmig bestätigt."

70.000 Zuschauer auf der Bensberger Hauptstraße


Zwergen- und Elfenvolk
Gefragt waren nunmehr die Ausführenden, die Schulen mit ihren Kindern, die all das Zwergen- und Elfenvolk für die in Aussicht genommenen 30 Märchengruppen stellen sollten. Von den Pädagogen zeigte sich besonders Rektor Rudolf Hermes hilfsbereit. Es kam tatsächlich zu einem neuen Märchenzug, der viermal (am 3. Mai 1951, am 18. Mai 1952, am 10. Mai 1953 und am 26. Mai 1957) seinen Lauf nahm.
Aufstellung nahm das Märchenvolk nicht mehr im Hof des Schlosses - es war damals durch Besatzungsstatut für Bensberg zum ex-territorialen Gelände geworden -, sondern im Hof der sich fördernd engagierenden Lederfabrik Offermann. Abschließendes Ziel des Zuges war, wie auch schon vor dem Krieg, die Festwiese neben dem Deutschen Platz. Der Zug hatte keinen Gesamtleiter mehr. Der pädagogisch und organisatorisch so erfolgreiche Lehrer Heinrich Rückamp war 1941 verstorben. Man teilte die Arbeit in einzelne Abteilungen auf.

Bei den nunmehr anlaufenden Maispielfeiern erwarb sich besondere Verdienste die Lehrerin Maria Wallenfang (der Verfasser dieser Zeilen gehört zu den dankbaren Schülern, die ab 1939 bei ihr das ABC zu erlernen hatten), die das Anfertigen von Kostümen und das Einüben der Tänze auf der Festwiese besorgte. Bürgermeister Werheit war unermüdlich damit beschäftigt, Sponsoren für das Maispiel-Fest zu gewinnen. So ist heute noch erhalten die Antwort der Firma Mülhens 4711 vom 26. April 1951, die zwar nicht den erbetenen Zugwagen stellen wollte, aber doch mit einer Spende von 500 DM dabei war.

Beim aufmerksamen Lesen der Unterlagen ergeben sich zumal ab 1953 vermehrt Hinweise auf die mit der Organisation des Zuges verbundene Arbeit und die Schwierigkeit, die entstehenden Kosten zu decken. So fand nach 1957 der Zug nicht mehr statt. Schade! Der Schloßhof ließe sich vielleicht heute wieder nutzen, nachdem es hier ein für die Allgemeinheit offenes Hotel-Restaurant gibt. Zu den konkurrierenden Karnevalszügen im kalten Winter wäre ein konkurrenzloser Märchenzug im Mai eine schöne Ergänzung. Aber das klingt wie ein Märchen aus 1001 Nacht, das uns sogar heutzutage von einer Schar original türkischer Schulkinder vorgeführt werden könnte.

Diesem Bericht liegen Unterlagen zugrunde, die im Archiv der Stadt Bergisch Gladbach eingesehen werden können. Weiterhin danke ich Herrn Heinrich Rückamp (Sohn) für unterstützende Mitarbeit.

Dieter Siebenborn

Text: Rheinisch Bergischer Kalender, Jhrg. 2002, Heider-Verlag Bergisch Gladbach (2006 von Paul Falk überarbeitete und korrigierte Fassung)


Die Märchenzug-DVD: Bensberg wie im Märchen - Bensberger Märchenzug 1957

Paul Falk, Initiator des Internetportals "Lust auf Bensberg", hat 2007 das Film- und Fotomaterial über den Märchenzug mit Unterstutzung aus dem Stadtarchiv Bergisch Gladbach aufgearbeitet und digitalisiert. Die zum 50. Jahrestag des letzten Märchenzuges präsentierte DVD war innerhalb weniger Wochen vergriffen.

Damit weitere interessierten Bensberger und Freunde der Schloßstadt das Material kennen lernen können, hat "Lust auf Bensberg" das Material - zwei Filme der Autoren Hans Andersen (Film 1) und Herbert Thimm (Film 2), sowie umfangreiches Bildmaterial aus dem Stadtarchivs und dem Archiv der Katholischen Grundschule Eichelstrasse - ins Internet gestellt.

- Film von Hans Andersen Teil 1 Teil 2 Teil 3
- Film von Herbert Thimm Teil 1 Teil 2
- Fotogalerie von Paul Falk